Züricher Obergericht entscheidet:
Das Kind darf polizeilich zum Umgang gezwungen werden
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Der Fall ist zwar schon etwas länger her und aus der Schweiz; er erscheint uns aber relevant. Insbesondere, da dieses “Zürcher Modell” offenbar bereits in Deutschland angekommen ist – hier kann es zum Vorteil des Kindes genutzt werden, wie wir später anhand einer Fallbeschreibung darstellen:
In einem Kindesschutzfall in 2019 im Kanton Zürich griff das Obergericht zu einer ungewöhnlichen Metapher: Der Vater eines 11-jährigen Jungen, der seit zweieinhalb Jahren keinen Kontakt mehr zu seinem Sohn hatte, wurde mit dem „Scheinriesen Herr Tur Tur“ aus Michael Endes Kinderbuch Jim Knopf und der Lokomotivführer verglichen. Wie Herr Tur Tur von weitem furchteinflößend, aus der Nähe aber harmlos sei, solle auch der Vater durch sogenannte „Erinnerungskontakte“ wieder als normale Bezugsperson erscheinen. Diese halb-jährigen Kontakte seien dem Kind laut Gericht “zumutbar” und Verweigerung des Kindes ist daher nicht gestattet. Das Gericht entschied, dass das Kind polizeilich abgeholt und zu diesen Kontakten gezwungen werden darf.
Im Fall des 11-jährigen Jungen sei die Entfremdung maßgeblich dadurch entstanden, dass die Mutter überzeugt war, der Vater schade dem Kind. Ob diese Sorge berechtigt ist, wurde im Urteil nicht abschließend geklärt.

Dieses Urteil aus Zürich ist ein gutes Beispiel dafür, wie kaputt unsere Systeme – über alle Länder hinweg – schon seit Jahren sind. Wieder einmal wird eine Ideologie durchgedrückt – nämlich, dass ein Kind unbedingt beide Elternteile sehen muss – völlig unabhängig davon, was das Kind selbst will, fühlt oder erlebt hat. Dass ein Gericht ernsthaft anordnet, ein 11-jähriges Kind notfalls mit Polizeigewalt zu einem Vater zu bringen, den es seit Jahren nicht mehr sieht und vor dem es inzwischen große Angst hat, ist erschütternd.
Für das Kind bedeutet das: Die eigene Angst zählt nicht. Die eigenen Worte haben kein Gewicht. Statt Sicherheit erfährt es Übergriffigkeit – nicht von den Eltern allein, sondern vom gesamten System. Wer als Kind erlebt, dass der eigene Wille mit Druck und Zwang gebrochen wird, entwickelt kein Vertrauen, sondern Misstrauen. Kein „Erinnerungskontakt“ der Welt heilt das – im Gegenteil, es kann das Trauma noch vertiefen.
Wir wissen alle: Bindung lässt sich nicht verordnen. Ein echter Beziehungsaufbau braucht Zeit, Sicherheit und Freiwilligkeit. Wenn diese Grundlagen fehlen und stattdessen Polizeieinsätze zur „Beziehungspflege“ dienen sollen, ist klar, dass hier nicht das Kind im Mittelpunkt steht, sondern eine Vorstellung davon, wie Familie auszusehen hat – koste es, was es wolle. In diesem Fall: Das Kind. Leider ist die Sichtweise “Umgang unter allen Umständen” in Deutschland ebenfalls anzutreffen.
Medienbericht von Isabel Karst – Ehemalig betroffenes Kind –
Zürcher Modell in Deutschland angekommen
Eine Klientin berichtet, wie überraschend positiv sich alles entwickelt hat.
Nach monatelangen begleiteten Umgängen, bei denen der Vater sich weiterhin regelverletzend und ablehnend zeigte, konnte ihre 8jährige Tochter in der neuen Verhandlung selbst klar und begründet äußern, dass sie keinen weiteren Umgang möchte – und das vor dem Vater, der Umgangspflegerin, der Verfahrensbeiständin und dem Richter.
Das Gericht entschied auf sogenannte Erinnerungskontakte: In diesem Fall zwei Stunden alle sechs Monate – und auch diese dürfen abgebrochen werden, wenn sie für das Kind belastend sind.
Wichtig für ähnliche Fälle: So konnte das nervenaufreibende und kostenintensive psychologisches Gutachten vermieden werden. Der Richter begründete, dass jeder weitere reguläre Umgang dem Kindeswohl widerspräche. Dem zuvor gegangen waren etliche Monate missglückte begleitete Umgänge.
Die Mutter schreibt: „Ich hätte nicht gedacht, dass der Kindeswille schon in diesem Alter so viel zählt. Und Sie hatten recht: Mit 8 Jahren konnte meine Tochter sich schon wirklich klar ausdrücken.“
Maßstab ist die individuelle Reife des Kindes, nicht so sehr das Alter. Der Kindeswille wird in der Regel dann berücksichtigt, wenn das Kind seinen Willen ausreichend begründen kann. Es fängt damit an, das Kind möglichst früh zu stärken und mit Transparenz ein Bündnis gegen den narzisstisch manipulierenden Kindesvater zu bilden. Wie das geht, besprechen wir in unseren Webinar Kinder schützen und stärken.
Erinnerungskontakte sind ein noch wenig bekanntes Modell – aber für viele Mütter in ähnlicher Lage vielleicht ein realistischer Weg. Wir bleiben dran!