Mit dem Gleichnis aus dem Kaukasischen Kreidekreis werden Mütter unter Druck gesetzt

Kaukasischer Kreidekreis


Der kaukasische Kreidekreis wird von Mitarbeitern des Jugendamtes oder anderen Verfahrensbeteiligten immer wieder gern benutzt, um betroffene Mütter unter Druck zu setzen. „Sie dürfen die Paarebene nicht mit der Elternebene verwechseln und müssen ausschließlich an das Kind denken!“ So heißt es.

Bei ‘gesunden’ Trennungen ist das sicher ein guter Gedanke; diese landen aber selten bei Jugendamt und Familiengericht. Bei strittigen Trennungen dagegen, vor allem in Kindschaftssachen und in Vermögensauseinandersetzungen, kommt es meist zu Trennungskriminalität. Es ist dabei kaum bis gar nicht möglich, die Paar- und Elternebene zu trennen. Wie soll das funktionieren, wenn man sich in seiner psychischen, physischen und/oder finanziellen Unversehrtheit bedroht sieht? Oder wenn man miterlebt, wie das Kind leidet?

Der Kaukasische Kreidekreis

Das Bild wird zum einen für meinen Geschmack reichlich überstrapaziert und zum anderen, vermutlich aus Unkenntnis über die tatsächliche Story, im Zusammenhang mit familienrechtlichen Auseinandersetzungen falsch interpretiert.

Das Stück ist ein bekanntes Drama von Berthold Brecht. Er schrieb es 1944 im Amerikanischen Exil. Dort wurde es auch 1948 uraufgeführt. 1954 kam es nach Deutschland.

Der Weise Richter

Das Drama basiert auf einem aus dem Chinesischen stammenden Gleichnis zweier Mütter: Weil sich beide um ein Kind streiten, wird es in einen Kreis gestellt. Beide Mütter sollen nun an dem Kind ziehen, denn die Stärkere soll das Kind behalten dürfen. Da die ‘wahre Mutter’ ihrem Kind aber keinen Schmerz zufügen kann, weicht sie zurück. Sie überlässt der anderen Frau das Kind, denn sie kann ihr Kind nicht schädigen. Durch diese selbstlose Haltung erkennt der Richter, dass sie die ‘wahre Mutter’ sein muss und spricht ihr das Kind zu.

Gern wird dieses Gleichnis aus der Schublade geholt, um den Müttern ein schlechtes Gewissen einzureden – denn zu nichts anderem ist es gut. Wären deutsche Familienrichter so weise, wie der kaukasische Kreidekreis Richter, dann würde die ‚wahre Mutter’ ihr Kind behalten können. Lässt die ‚wahre Mutter’ ihr Kind aber in einem deutschen Familiengericht los, ist es praktisch unwiederbringlich weg.

Vater = die bessere Mutter?

Ganz abgesehen davon, taugt das Beispiel in familienrechtlichen Fällen schon deshalb nicht, weil hier nicht zwei Frauen, sondern eine Frau und ein Mann an dem Kind zerren (allerdings nicht selten mit einer weiteren Frau im Hintergrund, nämlich entweder die Großmutter oder die neue Partnerin).

Und hier wird es spannend, denn Brecht erzählt das ursprüngliche Gleichnis auf andere Weise: Hier kämpfen eine leibliche Mutter gehobenen Standes (also jemand mit ausreichend finanziellen Mitteln) und eine einfache Magd (also jemand ohne Geld) um das Kind. Die biologische Mutter hatte es zurückgelassen und die Magd nahm sich seiner an Kindes statt an. Jahre später kam die biologische Mutter zurück und wollte das Kind. Auch hier war der Richter weise und überließ das Kind der ‚wahren Mutter’, also der Magd, die sich jahrelang liebevoll um das Kind kümmerte, auch wenn sie nicht die biologische Mutter war.

Gelebte Mutterschaft vor biologischer Vaterschaft

Damit gelingt es Brecht, die gelebte Mutterrolle vor die biologische zu stellen, und es wird klar: Nicht die biologischen Eltern – Vater wie Mutter – haben ein Recht auf das Kind, sondern das Kind hat das Recht auf liebevolle gelebte Mutter- und/oder Vaterschaft, unabhängig davon, wer das Geld hat, um sich zum Beispiel einen teuren Anwalt leisten zu können.

Die Betreuungs- und Fürsorgeleistung bleibt nach wie vor überwiegend uns Müttern überlassen: Während Väter überwiegend lediglich zwei Monate Elternzeit nehmen (also verlängertern Urlaub…), stellen Mütter häufig ihre Karriereabsichten zurück und nehmen umfassend Mutterzeit in Anspruch, gehen in Teilzeit oder hören ganz auf.

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Nicht selten berichten Mütter, dass sich der Kindesvater während der Beziehung de facto kaum für die Kinder interessiert hat, geschweige denn, sich nennenswert an der Arbeit, die Kinder bekanntlich auch machen, beteiligte. Die Mütter sind es in der Regel, die ihren Arbeitgeber verprellen, um das Kind mit Läusen aus der Kita zu holen. Sie helfen bei Schulaufgaben und gehen zu den Elternabenden. Sie gehen mit den Kindern Schuhe kaufen, in den Zoo, zum Kinderarzt. Sie organisieren die Geburtstage, sie kochen, waschen, chauffieren, trösten und singen die Gute-Nacht-Lieder.

Eine Bertelsmann Studie hat deutlich gemacht, dass die Belastungen, die durch COVID entstanden sind, im wesentlichen von den Müttern gestemmt wurden. Nichts, was wir nicht vorher schon wussten…

Nicht selten gehen Kindesväter allenfalls mit den Söhnen samstags zum Fußballspiel oder begleiten lustlos am Sonntag einen Familienausflug – mehr abwesend als begeistert. Ok, wenn sie dann älter sind, dann kann man mit ihnen „gamen“…

Der ‘wahre Vater’?

Auch wenn es derzeit politisch unkorrekt ist und daher nicht gern gehört wird: Aus unserer Beratungspraxis können wir bestätigen, dass es interessanterweise oftmals genau dieser Typ Vater ist, der nach der Trennung seine Vaterschaft völlig neu entdeckt, das Wechselmodell begehrt oder sogar die Kinder ganz zu sich holen will. Dabei ist  jedes Mittel recht: Lügen, verleumden, manipulieren –  mit aller Gewalt wird um das Kind gekämpft. Macht das aus ihm einen ‘wahren Vater’?

Die Zeit, die du für deine Rose gegeben hast, sie macht deine Rose so wichtig.

aus “Der kleine Prinz”, Antoine de Saint-Exupéry

Vater und Mutter wird man nicht durch biologische Vorgänge, sondern durch Zeit, Mühe und Liebe, die man für die Kinder gegeben hat, sowie durch die Bereitschaft, sich selbst und seine eigenen Bedürfnisse zum Wohl der Kinder zurückzustellen. Das hat der Richter im Gleichnis völlig richtig erkannt. In Deutschen Familiengerichten darf man auf soviel Weisheit leider nicht hoffen.

Seien Sie also auf der Hut, wenn der kaukasische Kreidekreis zitiert wird. Derjenige hat höchstwahrscheinlich keine Ahnung, wovon er da überhaupt redet.

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